Der „Unsympathler“

Der norwegische Langläufer Petter Northug junior – trotz des irreführenden Namens 39 Jahre alt – wiederholte bei der Nordischen Ski-WM in Trondheim, dass er künftig für Österreich starten wolle. Österreichs bester Langläufer Mika Vermeulen und auch dessen Verbandschef sind wenig begeistert.

Naja. Es ist verständlich, dass es den aufstrebenden Vermeulen stört, falls ein alternder Ex-Superstar ihm die Schlagzeilen wegnehmen sollte. Kurios ist hingegen die Begründung des ÖSV-Langlaufchefs Alois Stadlober, der Northug seine Vergangenheit vorwirft und meint, dass man ihn daher nicht braucht.

Würden wir die Vergangenheit nicht ruhen lassen, so bräuchten wir nämlich – Stichwort vielfaches heimisches Doping – in Österreich den Langlaufsport überhaupt nicht mehr. Doch was ist objektiv von Northugs Ansinnen zu halten?

Der Superstar

Foto: © Dmitry Valberg unter CC BY 2.0

Sportlich ist die Sache klar. Natürlich ist Northug längst nicht mehr am Höhepunkt seiner Karriere, es wäre von Volksläufen abgesehen sogar eine Art Rücktritt vom Rücktritt. Allerdings hat Österreich vom Eishockey bis zum Frauenhandball eine lange Geschichte von Einbürgerungen im nationalen Interesse, ohne dass jemand Doppelolympiasieger und 13-facher Weltmeister war. All das ist Northug aber.

Was seine aktuelle sportliche Leistungsfähigkeit betrifft, gelten für ihn sowieso dieselben Qualifikationskriterien wie für jeden anderen. Die formalen Anforderungen könnte Northug, der fließend mehrere Sprachen spricht und selbstverständlich auch seinen Wohnsitz vom reichen Norwegen ins vergleichsweise ärmere Österreich verlegen würde, musterhaft erfüllen.

Warum also die Zweifel? Petter Northug war einmal kein sympathischer Mensch. Das ist keine subjektive Wertung, sondern kann man belegen. Northug verursachte einen Verkehrsunfall mit 1,65 Promille Alkohol im Blut. Er blieb unverletzt, sein Beifahrer nicht.

Northug wollte zuerst davonlaufen. Dann sagte er vor der Polizei aus, er wäre gar nicht gefahren. Sondern der Verletzte, welcher neben ihm gesessen hatte. Das Gericht verurteilte ihn für all das zu 50 Tagen Haft und einer hohen Geldstrafe. Solche Leute mag man üblicherweise nicht.

Doch Northugs Untat ereignete sich 2015. Also ist das 10 Jahre her und er hat seine Strafe abgesessen. Punkt und aus. Petter Northug war vor allem Skilangläufer. Nicht irgendeiner. Neben seinen Olympia- und WM-Triumphen errang er 20 Weltcupsiege. Den Gesamtweltcup holte er sich zweimal. Northug war über ein Jahrzehnt lang der Superstar seines Sports.

Hinsichtlich Sympathie war er da genauso ein Grenzgänger. Doch von solchen und deren Charisma lebt der Sport. Northugs Siege waren unglaublich. Und unfair. Bei der Weltmeisterschaft 2011 im heimischen Oslo hielt Northug mitten im Sprint des Staffelfinales den Finger an die Lippen. In vollem Tempo extra dafür langsamer werden. Genau an jener Stelle der Zielgerade, wo die schwedischen Fans standen und ihre Mannschaft anfeuerten.

Petter Northug wollte den Anhängern der Schweden als Erzrivalen signalisieren, sie sollen gefälligst die Klappe halten. Trotzdem holte er sprintend locker 30 Meter Vorsprung auf seinen schwedischen Konkurrenten heraus. Um unmittelbar vor dem Ziel stehenzubleiben. Northug schob erst seinen Fuß über die Linie als der Schwede herankeuchte.

Sein größter Sieg

Nach seiner Verurteilung zu einer Gefängnisstrafe wegen Trunkenheit am Steuer war 2015 wieder eine Weltmeisterschaft. In Falun. Das liegt in Schweden. Ausgerechnet. Ganz Norwegen stritt darüber, ob es – wie für jeden Täter aus beruflichen Gründen üblich, wenn es kein Kapitalverbrechen war – einen Strafaufschub für Northug geben sollte. Northug durfte starten.

Er gewann den Sprint. Er gewann den Teamsprint. Er gewann die Staffel für Norwegen, weil er den letzten Schweden niedersprintete. Am letzten WM-Tag fand anschließend die Königsdisziplin statt. Der Lauf über 50 Kilometer.

Schwedens Johan Olsen war der Mann, der das Ding gewinnen sollte. Er hatte sich die ganze Meisterschaft für diesen seinen Tag geschont. Von Northug war fast zwei Stunden lang wenig zu sehen. Er hatte Mühe, den Anschluss an die große Spitzengruppe zu halten. Als diese kleiner wurde und sich in die Länge zog, war er an deren hinterem Ende. Weit über hundert Meter hinter dem Ersten. Zwei oder drei Kilometer vor dem Ziel und bei vollem Tempo.

Olsen Sorgen machte nur ein Tscheche, der alle taktisch mit einem Skiwechsel überlistet hatte und nun das schnellste Brett an den Beinen hatte. Über Northug musste sich Olsen keine Gedanken mehr machen. Oder? Ich weiß nicht mehr, warum ich vor dem Fernseher spürte, dass noch etwas passieren würde.

Auf dem vorletzten Anstieg war Northug kurz im Bild, wie er außen herum mehrere Läufer überholte. Mit einem Affenzahn als wäre es bereits der Sprint. Niemand kann das durchhalten. Es fehlten Northug zudem unverändert viele Meter auf die Spitze und er lag auf Platz 10 oder 15. Bei der Einfahrt ins Stadion war er Sechster oder so. Die Medaillen aber schienen vorne vergeben, eine größere Lücke zu den drei Führenden war aufgegangen.

Northug kam im Dauersprint näher und als Vierter auf die Zielgerade. Die Spuren vor ihm waren besetzt. Er sprintete außerhalb der Spur einfach in der Mitte durch. Innerhalb von kurzer Zeit war er vorne und blieb dort. Für Mätzchen mit dem Publikum blieb diesmal keine Zeit. Nach dem goldenen Zieleinlauf brach Northug zusammen. Für Olsen blieb lediglich Bronze und ganz Schweden war still.

Das macht Petter Northug nicht sympathischer. Doch solche Geschichten und solche Typen braucht der Sport. Also sollten wir Northug für Österreich starten lassen.