
Die Femke Bol Story
Gestern fand bei der Hallen-Europameisterschaft in der Leichtathletik das Mixedrennen über 4×400 Meter statt. Gemischt bedeutet, dass pro Nation je zwei Frauen und Männer starten. Also vier Leute. Drei davon sind egal. Weil am Ende läuft für die Niederlande Femke Bol. Sie gewinnt nach einer Aufholjagd. Aus dem Nirgendwo kommend. Immer.
Bols Spezialdisziplin ist aber ein 400 Meter langer Hürdenlauf. Das ist an sich bereits bewundernswert. Haben Sie jemals versucht, so schnell als irgendwie möglich eine Stadionrunde zu rennen, dabei aber in vollem Lauf alle 35 Meter über zehn 76,20 Zentimeter hohe Hürden zu springen?
Glauben Sie ernsthaft, dass Sie das unfallfrei hinkriegen? Wenn ja, brauchen Sie weniger als doppelt so lange wie Bol bei ihrem Europarekord von unter 51 Sekunden? Beim Sprint oder Weitsprung &Co sind wir als Hobbysportler ebenfalls unendlich viel schlechter als die Weltelite, nur würden wir wenigstens nicht auf der Nase landen.
Bol ist zudem auf der längeren Hürdenstrecke schneller als es alle anderen Läuferinnen der Welt jemals waren oder sind. Mit einer Ausnahme. Ihr Problem heißt Sydney McLaughlin-Levrone aus den USA, die mit 50,37 Sekunden über 400 Meter Hürden den besten und unglaublichsten Laufweltrekord überhaupt hält. Weil man in dieser Zeit das Finale einer Weltmeisterschaft über dieselbe flache Strecke erreichen würde.
Das weiß Femke Bol natürlich. Sie kennt sich aus, weil sie selbst den 400 Meter-Weltrekord der Flachläuferinnen in der Halle hält. Daher wäre es naheliegend gewesen, bei den Olympischen Spielen 2024 auf die hürdenlose Distanz auszuweichen, um ihre Goldchancen zu erhöhen. Doch sie wollte die Beste der Besten schlagen.
Bol war auch nicht an Silber interessiert. Für ihre minimale Siegchance stürmte sie 200 Meter lang vor McLoughlin liegend los, um letztlich nur Bronze zu retten. Alles oder nichts. Das Siegergen hat man oder nicht. Kaum jemand hat es mehr als Femke Bol.
Das hat jeder miterlebt, der sich mit Staffelrennen beschäftigt. Da gibt es sowohl in der Frauen- als auch der Mixedstaffel in der relativ kleinen Laufnation Niederlande natürlich keine vierfache Weltklasse. Aber sie haben Bol.
Diese war bei der Weltmeisterschaft 2023 in Budapest in der Mixedstaffel auf dem Weg zur Goldmedaille gestürzt. Ein paar Meter vor dem Ziel. Weil sie den Staffelstab verlor, half es ihr nichts, dass sie sich aufrappelte und immer noch Dritte wurde. Es gab eine Disqualifikation und keine Medaille.
Andere wären daran zerbrochen, doch der letzte Lauf am letzten Tag war die Frauenstaffel. Femke Bol, inzwischen zudem Weltmeisterin über die Hürdenstrecke geworden, übernahm als Schlussläuferin das Staffelding mit großem Rückstand. Eingangs der Zielgeraden fehlten ihr immer noch die Ewigkeit von 20 Metern. Der Rest ist Laufgeschichte. „Look at Bol!“ und „She’s coming from nowhere!“ wurden zu Standardsprüchen des Reporterlateins.
Das alles war freilich harmlos im Vergleich zum Olympiarennen der Mixedstaffel 2024. Da nämlich waren die Niederlande aufgrund zweier Männer, die bestenfalls zum erweiterten Kreis der internationalen Klasse gehörten, vermeintlich chancenlos. Man hatte sich eher bloß mit Ach und Krach für das Finale qualifiziert, weil Bol nicht antrat. Die hochfavorisierten USA hingegen rannten im Vorlauf einen Weltrekord.
Doch im Endlauf war Femke Bol dabei. Es kam, wie es kommen musste. Der amerikanische Kommentator faselte während der Schlussrunde von seiner Landsfrau und einer Britin, die an derselben Universität trainierten. Seine Berufskollegen auf fast allen Sendern waren genauso daneben.
Bol war geduldig, wartete ab und lag auf der Gegengerade auf dem vierten Platz und 40 Meter zurück. Erst ganz am Schluss kreischten die Reporterstimmen „Here comes Bol!“ und der britische Eurosport-Heini fragte „Is she running out of track?“ Die Antwort war: Nein. Sie gewann.
P.S.: Femke Bol ist 25 Jahre jung und wird die große McLaughlin-Levrone einmal schlagen. Wetten, dass?