Die olympische Lebenslüge: 1896–1936

Die olympische Lebenslüge: 1896–1936

Olympische Spiele wollten unpolitisch sein und waren es nie. Sind nicht bereits Frieden und Völkerverständigung als Ziele Olympias pure Politik? Ja. Doch allzu oft haben Anti-Demokraten die Spiele missbraucht. Es wäre höchste Zeit, die Lebenslüge vom nicht politischen Sport zu beenden.

 

  1. Als Baron Pierre de Coubertin die Spiele der Neuzeit gründete, waren 1896 in Athen trotz Diskriminierungsverbot Frauen und dunkelhäutige Menschen unerwünscht. Sie passten nicht in das Weltbild Coubertins, der zudem „durch Olympische Spiele die Schmach Frankreichs nach der Niederlage im Krieg 1870/71 tilgen“ wollte. Prompt sprachen seine französischen Landsleute sich gegen die Teilnahme der Deutschen aus.

 

In Sportverbänden des damaligen Kriegsgewinners Deutschland galten olympische Turner als Landesverräter des heimatlichen Nationalismus. Sie wurden nach ihrer Rückkehr ausgeschlossen. 1900 in Paris brachte man deutsche Sportler in Kasernen unter. Die Betten fehlten, dafür waren die Quartiere nicht verschließbar. Was dazu führte, dass viele Zimmer mit Urin und Fäkalien sowie ordinärsten Wandinschriften verziert wurden.

 

  1. 1908 in London bekriegten sich Großbritannien und die USA. Schon die Eröffnungsfeier wurde zum Skandal: Alle Länder senkten im Vorbeigehen die Fahne zu Ehren König Edwards VII. Nur die US-Amerikaner nicht. Alle Olympiasieger erhielten im Gegenzug ein Eichenlaub, das in die britische Flagge „Union Jack“ eingewickelt war. In New York führte man daraufhin einen gefesselten Stofflöwen namens Albion – ein dichterischer Begriff für England – durch das Rathaus.

 

  1. Apropos USA: In der Zwischenkriegszeit war Deutschland 1920 und 1924 ausgeschlossen, und die Amis sorgten bei der angeblichen „Olympiade der Freundschaft“ 1928 in Amsterdam für den nächsten Eklat. General Douglas MacArthur, Leiter der US-Delegation – und später Oberbefehlshaber im Korea-Krieg, der den Einsatz der Atombombe verlangte – war überzeugt, seine Athleten würden von den Europäern ausspioniert. Also verhängte er mit Ausnahme der Wettkämpfe ein Verbot, die Unterkunft zu verlassen.

 

Dummerweise war diese ein Kriegsschiff. Also ergab sich daraus für trainierende Langstreckenläufer, Stabhochspringer oder Speerwerfer ein Problem. Die USA waren im Medaillenspiegel weniger überlegen als erwartet, und Mac Arthur verlangte die Einführung absurder Punktesysteme, welche (noch) bessere Ergebnisse gebracht hätten.

 

  1. 1936 in Berlin konnte Adolf Hitler die Spiele ungestört zur Nazipropaganda nutzen. Die Boykottdiskussion war tragisch und widerwärtig. Die USA entsandten eine „Kommission“ nach Deutschland. Deren einziges(!) Mitglied Avery Brundage – 1972 schloss er als Präsident des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) Karl Schranz aus – war bekennender Rassist und Antisemit.

 

Brundage, der kein Wort Deutsch sprach, traf während seines sechstägigen Aufenthalts lediglich im Berliner Hotel Kaiserhof hohe NSDAP-Beamte und von diesen ausgewählte „Sportfunktionäre“. Dabei argumentierte er, dass kein Unrecht geschehe, denn sein eigener Verein in Chicago diskriminiere Juden ja auch. Nach Brundages Bericht nahmen die USA die Einladung von Hitlers Schergen an, und im IOC war der Boykott kein Thema mehr. Das IOC-Mitglied Lee Jahncke wurde ausgeschlossen, weil er seine „Liebe zu einem früheren Deutschland“ – vor der Nazi-Diktatur – bekundete, und sich einen „demokratischen Sportsgeist“ wünschte.

 

  1. Es kam, was vorhersehbar war. Die Nazis schlossen nicht allein deutsche Juden von der Olympiateilnahme aus, sondern lösten auch alle Arbeitersportverbände mit zwei Millionen Mitgliedern auf. Im Vorfeld der Spiele wollte das IOC nicht einmal übelste Schilder „Achtung, scharfe Kurve – Juden 100 Stundenkilometer!“ wahrhaben.

 

Ach ja, und die Nazis erfanden im Stil Mac Arthurs eine „arische Medaillenzählung“. Sie rechneten Bau- und Kunstwerke mit, um die Deutschen sicher auf den ersten Platz zu bringen. Die Inszenierung wurde gestört, als Jesse Owens in der Leichtathletik als Königsdisziplin vier Goldmedaillen gewann. Hitler weigerte sich, dem afro-amerikanischen Olympiasieger zu gratulieren. Sogar Jahrzehnte später wurde das vom IOC – durch Brundage und den deutschen Vizepräsident Willi Daume – als reine Protokollfrage beschönigt.

 

In Wahrheit ist von Hitler als Zitat überliefert: „Die Amerikaner sollten sich schämen, dass sie sich ihre Medaillen von Negern gewinnen lassen. Ich werde diesem Neger nicht die Hand schütteln. Glauben Sie, dass ich mich fotografieren lasse, wie ich einem Neger die Hand reiche?“ Dazu schwieg das IOC. Daume machte das vielleicht infolge seiner Naziparteinummer 6098980. Die olympische Bewegung tut sich eben schwer mit ihrer politischen Vergangenheit.

 

Foto von Obed Hernández auf Unsplash