
Die politische Bilanz der Spiele 1996 bis 2016
Das Veranstalterland im Jahr 2016, Brasilien, war mit über 200 Millionen Einwohnern fünftgrößter Staat der Welt. Wirtschaftlich rangierte man unter ferner liefen: Beim Pro-Kopf-Einkommen lagen die Brasilianer auf Platz 75, die Inflationsrate als jährliche Geldentwertung betrug fast zehnmal mehr als bei uns und es gibt kein Wachstum. Folgerichtig konnten jede Menge Brasilianer sich den Luxus des Zuschauens bei Olympischen Spiele weder zeitlich noch finanziell leisten. Viele Stadionplätze blieben leer.
Das führt zur Frage, wie sinnvoll Brot und Spiele-Spektakel inmitten von Armut sind, wenn sie bis zu fünf Milliarden(!) US-Dollar kosten. Gewinner der Kommerzialisierung sind das Internationale Olympische Komitee (IOC) und Großkonzerne. Der Fernsehsender NBC sowie Top-Sponsoren zahlen jeweils über eine Milliarde Dollar, doch wegen des Werbewertes geht die Rechnung für sie auf. Umgekehrt wäre genauso problematisch, sollte Olympia sich nur in Metropolen reicher Länder ereignen. So würden Athleten aus der Dritten Welt quasi allein zur „Behübschung“ und Volksbelustigung eingeladen.
Spätestens seit 1996 Atlanta zum Veranstaltungsort wurde, sind Einflüsse der wirtschaftlich Mächtigen unbestritten. Man sprach von Coca Cola-Spielen, weil einer der Hauptgeldgeber ebenda seine Konzernzentrale hatte. Alle Ungleichheiten in den USA und einer Stadt, die durch Ghettos und Rassenkonflikte gekennzeichnet ist, hat man verdrängt. Diskussionen darüber waren politisch unerwünscht.
Sydney 2000 war die Ausnahme, bevor 2004 Spiele in Pleite-Griechenland wirtschaftspolitischer Wahnwitz waren. Worüber keiner redete. 2016 war es Kommunikationsstrategie, im – oft mit unfairen Buhrufen gegen Nicht-Brasilianer vermischten – Sportjubel die Politik zu verheimlichen: Brasilien ist am Rande der Unregierbarkeit, weil gegen Präsidentin Dilma Rousseff ein Amtsenthebungsverfahren läuft. Sie ist suspendiert, ihr Stellvertreter und Möchtegern-Nachfolger Michael Temer hat Umfragewerte von weniger als fünf Prozent. Die logischen Pfiffe gegen ihn bei der Eröffnung bekämpften die Organisatoren mit lauter Musik.
Apropos Politik: Wer hoffte, dass die Politisierung Olympias mit dem Ende des Kalten Krieges zwischen USA und UdSSR vorbei war, lag falsch. In Peking 2008 drückte sich die olympische Bewegung davor, gegen die Verletzung der Menschenrechte durch die chinesische Regierung Stellung zu nehmen. Im Olympiajahr war diese für hunderte Tote in Tibet verantwortlich. Doch angesichts eines gigantischen Milliardenmarktes in China hatten die Olympiafunktionäre und ihre Unterstützer Dollarzeichen vor den Augen.
2012 in London schaffte Großbritannien ein Comeback. Aus dem einstigen „Empire“ des britischen Löwen war weltpolitisch ein brüllendes Kätzchen geworden. 65 Medaillen, davon 29 in Gold sowie viele in der prestigeträchtigen Leichtathletik, und plötzlich ist man wieder wer. Zumal sich die Erfolgsserie soeben in Rio fortsetzte. Wenn zugleich 2016 die kapitalistische USA bejubelt, das kommunistische China neuerlich in die Schranken gewiesen zu haben, zeigt sich die fortgesetzte Ideologisierung der Spiele.
Die Schlussberichte werden von etwas dominiert, dass es offiziell nicht gibt: Der Medaillenspiegel als Auflistung der Gold-, Silber- und Bronzegewinner nach Nationen. Das IOC hat diese Statistik vor langer Zeit in weiser Voraussicht „verboten“. Das war naiv. Beim Zählen der Medaillen um Meter und Sekunden werden Politikziele Olympias vom Friedensgedanken über die Völkerverständigung bis zum Diskriminierungsverbot schnell zur Randnotiz.
Die brasilianischen Spiele als Politikum hatten freilich auch gute Seiten. Es durfte ein Flüchtlingsteam unter olympischer Flagge antreten. Bei der Eröffnungsfeier als vorletzte Mannschaft unmittelbar vor den Veranstaltern einzumarschieren, das war symbolisch wichtig. Was können Menschen dafür, wenn sie aufgrund von Kriegen in ihrem Land weglaufen müssen und danach nicht an den Spielen teilnehmen dürften?
Positive Aufmerksamkeit bekamen die Flüchtlinge freilich, weil eine Befürchtung sich nicht bewahrheitete. Terroranschlag gab es keinen. Also blieb für die Staatspolitik der Dopingstreit und Teilausschluss der Russen als Aufreger. Das Argument, es würde genauso gedopte Amerikaner geben, ist kurzsichtig: Es macht einen Unterschied, ob das politische System Doping extra organisiert, um Olympiasiege nationalistisch zu feiern. Wer die Spiele ehrlich entpolitisieren will, hätte Russland und ein paar andere Länder zur Gänze hinauswerfen müssen.müssen.