Die verkorkste Dopingdiskussion im Radsport

Die verkorkste Dopingdiskussion im Radsport

Jeder einzelne Dopingfall im Sport ist einer zu viel. Auch und insbesondere in Ausdauersportarten wie Radfahren, „meinem“ Laufsport und Schwimmen gehört noch viel mehr kontrolliert.

Gerade angesichts beispielsweise der schwierigen Nachweisbarkeit der saugefährlichen Zuführung von Kohlenmonoxid zwecks mehr roter Blutkörperchen und einer Verwendung des Krebsmedikaments AICAR müssen die organisatorischen Strukturen und finanziellen Mittel für Dopingtests vervielfacht werden.

Von 166 AICAR-ähnlichen Präparaten stehen laut Dopingexperten nur vier auf der Verbotsliste. Das geht nicht. Ganz und gar nicht. Punkt und aus? Leider nein. Ich bin mit der Dopingdebatte extrem unglücklich.

 

  1. Emotionen statt Sachlichkeit

Ich habe mit leuchtenden Augen die Tour de France verfolgt, und die unglaublichen Ausdauerleistungen von Tadej Pogačar, Jonas Vingegaard, Felix Gall & Co bewundert. Kaum habe ich jedoch etwas dazu auf meinen Sportaccounts gepostet, gab es entweder jede Menge Antworten, dass das lauter Giftler wären, die als wandelnde Apotheken hackedicht gedopt wären.

Oder es wurde gepostet, jeder Hinweis auf Dopings wäre Nestbeschmutzung und so jemand gehöre aus dem jeweiligen Land einfach weg und Schlimmeres. Kann man über das Thema Doping überhaupt nicht mehr sachlich diskutieren?

 

  1. Die Realitätsverweigerer

Obwohl es bei der Tour de France seit 2015 keinen Dopingfall gab: Wer behauptet, er lege seine Hände ins Feuer, dass im modernen Radsport sicher nicht gedopt würde, dem ist seine körperliche Unversehrtheit nichts wert.

Immer gegen die armen Radfahrer? Manche Radsportfans fühlen sich beim Wort Doping sofort verfolgt, als hätte es nie Fälle wie Lance Armstrong, Jan Ullrich, Marco Pantani & Co gegeben, und die ganze Welt würde nichts Anderes tun als sich gegen ihren Lieblingssport zu verschwören.

Sie verdrängen total, dass es – abgesehen vom Staatsdoping wie in der DDR und der Sowjetunion und Russland – kaum jemals Sportarten gegeben hat, in denen nachweislich so systematisch quer durch ganze Mannschaften gedopt wurde.

Es ist Quatsch, dass es nur um den Radsport geht. Im Ausdauerbereich war und ist Doping bei chinesischen Schwimmern, kenianischen Marathonrekordlern und österreichischen Ski-Langläufern in den Medien zu Recht ein großes Thema. Doch speziell bei den Radfahrern hat man in vielen dringenden Verdachtsfällen so langsam ermittelt, dass Verjährung eingetreten ist.

In 14 der 18 World Tour-Teams des internationalen Radsports arbeiten aktuell mit Dopingvorwürfen schwer belastete oder überführte Personen. Nur sieben Teams sind Mitglied der „Mouvement Pour un Cyclisme Crédible“ (MPCC), der Bewegung für einen glaubwürdigen Radsport.

Besonders obskur war ein Posting auf meiner Facebook-Seite, in dem sich einer beschwerte, dass a) das mit dem Doping schon jeder wisse, es b) schließlich ständig Doper geben würde, und man das also c) ruhig hinnehmen soll statt ihn mit einer Berichterstattung darüber zu nerven. Ich hätte daher sinngemäß die Schnauze zu halten.

Ja eh. Dieser Typ könnte detto schreiben, wir wissen, dass es a) Verbrechen gibt und b) folgerichtig immer Betrüger, Räuber und Totschläger unter uns sein werden, und demzufolge hätte man c) das gefälligst brav zu akzeptieren und niemand dürfe darüber reden. Was für ein Unsinn.

 

  1. Pauschalurteile sind immer falsch

Diese Überschrift klingt nach einem Widerspruch in sich. Wenn man gegen Pauschalurteile ist, dürfte man streng genommen auch nicht sagen, dass etwas „immer falsch“ wäre.

Doch ich möchte in keiner Gesellschaft leben, in der bei schwerwiegenden Beschuldigungen eine Schuld nicht im konkreten Einzelfall nachgewiesen werden muss, sondern irgendwer im Internet pauschal verkündet, wer ein Verbrecher oder ein dopender Radsportler ist.

Das Urteil muss immer ein unabhängiges Gericht – im Fall Radsport eine nicht beeinflussbare Dopingbehörde – fällen, und nicht der Volksmund auf so genannten sozialen Medien. Schon gar nicht sollen sich ebenda die lautesten Schreier gegenseitig befeuern, um mit gemeingefährlichem Halbwissen ganze Menschengruppen an den Pranger zu stellen, egal wer schuldig oder unschuldig ist.

Ich will selbstverständlich auch kein Gegröle „Alle Priester sind Kinderschänder!“, obwohl es in der katholischen Kirche mehrere widerliche Missbrauchsfälle gab. Ich behaupte genauso nicht „Alle Politiker sind korrupt!“ und klarerweise nicht „Alle Blondinen sind …!“, „Alle Afrikaner sind …!“, oder „Alle Juden sind …!“, weil das übelster Sexismus, Rassismus und Antisemitismus wäre.

Wer pauschal gegen angeblich dopende Radfahrer hetzt, sollte das einfach gedanklich für den jeweils eigenen Beruf durchspielen. Auch da wird es irgendwann und irgendwo eine Menge Leute gegeben haben, die gesetzwidrig gehandelt haben.

Wie würden Sie sich fühlen, wenn ich Ihnen deshalb persönlich vor zehntausenden Followern auf Facebook, Instagram, Blue Sky & Co unterstelle, sie wären selber ein Verbrecher. Nur mal so. Weil mir gerade danach ist. Sie wären völlig rechtens entsetzt und empört, und ich hätte den strafrechtlichen Tatbestand der Verleumdung begangen. Wenn Sie das aber nicht wollen, sollten Sie das Anderen wie etwa Radsportlern ebenfalls nicht antun.

 

  1. Gibt es einen richtigen Umgang mit der Dopingdebatte?

Sachlich begründet und mit seriösen Quellen für eine kritische Debatte belegt, das waren die auf Doping bezogenen Meinungen zu meinen Internetkommentaren über Radsport selten bis nie. Sie erweckten mehr den Eindruck, als schreiben viele nach dem dritten Bier.

Wie diskutiere ich richtig? Sportwissenschaftler wie Pierre Sallet verweisen häufig darauf, dass die einzelne Tretleistungen im Radsport so großartig sein, dass das eigentlich nur ein drei Meter großer Mann schaffen könne. Dem sollte man in Detailstudien nachgehen.

Viel mehr Studien sollte es ebenso geben, ob radsportliche Leistungssteigerungen tatsächlich an Materialverbesserungen und Fortschritten in der Trainings.- und Ernährungswissenschaft liegen kann. Hobbyvergleiche, die zugegeben auch ich gerne anstelle, sind ungenügend.

Tadej Pogačar ist heuer den Mont Ventoux schneller hochgeklettert als irgendwer jemals zuvor. Umgekehrt halten aber die vollgedopten Bjarne Riis und Marco Pantani seit den neunziger Jahren den Rekord für die Auffahrten nach Hautacam bzw. Alpe d´Huez. Was sagt uns das?

Nichts. In einer Laiendiskussion unter Fans ist weder das eine noch das andere allein genommen ein Beleg für oder gegen Doping. Weil die Etappenlänge stets variierte, der Rennverlauf dauernd anders war und an unterschiedlichen Stellen des Berges das Tempo verschärft oder zwischenzeitlich verlangsamt wurde. Da braucht es eine wissenschaftlichere Herangehensweise, um das zu vergleichen.

Man muss es deutschen Fernsehsendern hoch anrechnen, dass sie nach dem Berichterstattungsdebakel vor vielen Jahrzehnten – da wurde scheinheilig so getan, dass bloß hinterlistige Italiener und Spanier dopen, während deutsche Helden wie Jan Ullrich so etwas nie tun würden -, zunächst aus den Radportübertragungen ausstiegen und heute differenziert sowohl über sportliche Leistungen als auch über Doping berichten.

Die ARD übertrug alle Etappen der heurigen Tour de France, sendete aber genauso die dopingkritische Dokumentation „Im Windschatten“. So geht Journalismus.

https://www.ardmediathek.de/film/geheimsache-doping-im-windschatten/

Ernst zu nehmen ist umgekehrt der Journalist David Walsh von der „Sunday Times“, welcher seit fast einem halben Jahrhundert von der Tour berichtet, und mit seinen Recherchen ein Aufdecker des Dopingfalls Lance Armstrong war. Er sagt Pogačar sei „ein außergewöhnlicher, glaubwürdiger Champion“ und es „gibt keine Anzeichen für Fehlverhalten“.

https://www.eurosport.de/radsport/tour-de-france/2025/doping-zweifel-tadej-pogacar-klare-meinung-von-lance-armstrong-jager-zum-weltmeister-glaubwurdiger-sieger-david-walsh_sto23206351/story.shtml

Es heißt also wachsam bleiben, ohne jedoch pauschal vorzuverurteilen. Im Radsport genauso wie überall im Leben.