Hommage an Thomas Muster

Hommage an Thomas Muster

Am 11. Juni 1995 gewann Thomas Muster die French Open. Vor 30 Jahren. Rund neun Monate später wurde er die Nummer eins der Tennis-Weltrangliste. In einer absoluten Weltsportart, die überall gespielt wird.

Wie viele Österreicher fallen euch ein, die das jemals geschafft haben? Zwei oder drei? Einer? Oder gar keiner? Skifahren & Co zählen nicht. Es geht um Sportarten, welche fast allerorts auf der Welt mit ihren mehr als 200 Staaten betrieben werden.

Ich mag Tom. Wir schätzen und kennen uns. Persönlich. Beim Turnier in der Wiener Stadthalle war ich 2024 sogar einmal Gast in seinem täglichen Toms Talk.

 

Ich bin also positiv befangen. Vor allem jedoch ist Muster ein Idol aus meiner Jugendzeit. Das sind verdammt viele gute Gründe für Erinnerungssplitter als Hommage an ihn.

Der Beginn

1988 spielte Wimbledonsieger Pat Cash bei seinem Heimturnier, den Australian Open, gegen einen jungen Österreicher. In der ersten Runde. Cash siegte in drei Sätzen. Auch schon was. Neunmalkluge Reporter meinten, Cash hätte eine höchstens mittelmäßige Leistung gezeigt. Dessen bitterböse Antwort: „Ihr habt überhaupt keine Ahnung von Tennis und wie gut der ist. Er schlägt auf den Ball, als gäbe es kein Morgen!“ Gemeint war Thomas Muster.

Ein einziger Punkt

Herr Cash verstand etwas von Tennis. Jedenfalls um Unmengen mehr als die ihn befragenden Journalisten. Denn 1989, nur ein Jahr später, sollte er von eben diesem Österreicher im Davis Cup auf Sand vorgeführt werden. Cash gewann nur zwei Games. Vor allem jedoch stand besagter Thomas Muster nur ein Jahr nach seiner Erstrundenniederlage im Semifinale der Australian Open. Während Vorjahresfinalist Cash im Achtelfinale die Segel streichen musste.

Muster war also unter den besten vier Spielern eines Grand Slam Turniers  – und das auf Hartplatz, was nicht sein Lieblingsbelag war. Muster war der künftige König auf Sand, doch auf einem schnellen Belag hatte ihm diesen Erfolg keiner zugetraut. Nun stand ihm in einer Hitzeschlacht der schier unschlagbare Ivan Lendl gegenüber. Und Tom hatte ihn, den großen Ivan.

Muster verlor in vier Sätzen, doch es war ein Punkt. Ein einziger verfluchter Punkt, der mir heute noch wehtut. Beide waren körperlich an ihren Grenzen. Doch im dritten Satz, und bei Satzgleichstand, hatte Thomas Muster den haushohen Favoriten am Rande eines Aufschlagverlusts. Der bewusste Punkt gehörte ihm fast, weil er nur noch einen Überkopfball ins Feld spielen musste. Nicht einmal scharf, denn Lendl war ausgespielt und stand am Rande des Platzes. Muster donnerte den Ball mit voller Gewalt ins Netz.

Das hat ihn psychisch gebrochen, aber nur an diesem Tag. Ich bin heute noch fest überzeugt, dass Muster ansonsten Ivan Lendl geschlagen hätte und ins Finale der Australian Open eingezogen wäre.

Die Tragödie

Zwei Monate später stand Muster in einem Finale. In Key Biscayne, dem größten Turnier nach den Grand- Slam-Turnieren. Wieder auf Hartplatz. In der Nacht vor dem Finale wurde er von einem betrunkenen Autofahrer niedergemäht, wobei er eine schwere Knieverletzung erlitt. Musters Finalgegner in Floridas Küstenort Key Biscayne wäre ein gewisser Ivan Lendl gewesen.

Ohne weiter zu spielen und auch nur ein einziges Match auf Sandplatz rückte Muster in diesem Jahr bis auf Platz sechs der Weltrangliste vor. Da kann man sich ausmalen, was ohne Verletzung möglich gewesen wäre. Ewig in meiner Erinnerung sind die Bilder, wie er drei Wochen später in einem speziell konstruierten Krankensessel auf dem Tennisplatz saß und Bälle über das Netz drosch, um für sein Comeback zu kämpfen. Stehen oder gar gehen konnte er noch nicht.

Der verdiente Triumph

Mehr als sechs Jahre später gelang Muster, was ihm zustand. Er gewann „seinen“ Grand Slam. Die French Open in Paris auf Sand. Die Comeback-Geschichte machte Muster zum Weltstar. Doch das Finale gegen den früheren Paris-Sieger Michael Chang, der Lendl geschlagen hatte, war nicht einmal knapp. Bis auf den ersten Teil des ersten Satzes war Muster überlegen.

Das war insofern wenig überraschend, als Thomas Muster zwischen Februar und Juli 1995 auf Sand 40 Spiele in Serie gewann. Das war die drittlängste Siegesserie in der Geschichte des Profitennis. Den Ruf des Sandplatzkönigs ist Thomas Muster nie losgeworden. Natürlich ist da was dran. Schließlich gewann Muster 40 seiner 44 Turniertitel auf Sandplätzen.

Muster aber konnte viel mehr als in der Sandkiste spielen. Doch dazu später.

Ein Musterspiel

Nie vergessen werde ich ein anderes Musterspiel. Vor seinem Triumph in Paris bestritt er in Monte Carlo das Finale. Gegen Boris Becker, der nie ein Sandplatzturnier gewann. Beckers Traum eines Turniersieges auf Sand blieb in 15 Karrierejahren unerfüllt. Schuld daran ist Muster.

Der hatte sich im Fürstentum Monte Carlo bereits im Halbfinale so verausgabt, dass er ärztliche Hilfe brauchte. Von einem Antreten im Finale wurde ihm abgeraten. Er stellte sich seinem Gegner Becker trotzdem. Es kam, wie es vermeintlich kommen musste. Becker dominierte und gewann die ersten beiden Sätze.

Und nun sollte jemand, der am Vortag Erschöpfungszustände hatte und kollabiert war, daraus einen Fünfsatzsieg machen? Muster machte. Vor allem im Tiebreak des vierten Satzes rannte er um sein Leben, wehrte zwei Matchbälle ab und prügelte Becker die Bälle um die Ohren.

Der für mich als bösartigen Menschen beste Ballwechsel sah so aus: Ein grottenschlechter Volley Musters. Becker holte aus dem Halbfeld mit aller Zeit der Welt zum sicheren Passierschlag aus. Muster drehte sich um. Nicht um sich zu schützen, sondern voller Arroganz. Becker schoss den Ball ins aus.

Im fünften Satz war Becker gegen seinen fitten Gegner eine lebende Leiche. Nachher unterstellte er Muster ohne jedweden Beleg oder auch nur ein Indiz Doping und musste dafür 20.000 Dollar Geldstrafe zahlen.

Tom, der Zerstörer

War Becker ein schlechter Verlierer? Naja, zu einem Streit gehören zwei. Ein Interview Musters im deutschen Spiegel dürfte Becker nicht besonders gefallen haben. Muster sagte da: „Am meisten Spaß macht es zu sehen, dass ich dem Gegner körperlich überlegen bin. Wenn der sich mit Krämpfen windet, kommt es vor, dass ich, statt den Punkt zu machen, ihn noch zweimal in die Ecken laufen lasse.“

Der Journalist fragte nach: „In Monte Carlo konnten Sie diese sadistische Neigung an Boris Becker ausleben.“ Darauf Muster: „Das ist das Schönste, was es gibt: Im fünften Satz zu sehen, dass der andere nicht mehr kann. Das ist toll, ich schaue mir das gern an.“

In einer Hinsicht muss man Becker Größe zugestehen. Deutsche Journalisten machten es zu ihrem Lieblingsthema, ob Muster als reiner Sandplatzkönig zu Recht auf Platz eins der Weltrangliste kletterte. Auf dem grünen Gras von Wimbledon würde er schließlich kaum zu den hundert Besten zählen. Becker spielte da nie mit. Seine trockene Antwort: „Muster hat seine Punkte nicht im Supermarkt gekauft. Sondern jeden davon ehrlich gewonnen.“

Musters Teamkollege im Daviscup, Alexander Antonitsch, hat als späterer Sportreporter einmal nur wegen Tom sogar die Zählweise von direkten Punkten und unerzwungenen Fehlern in Frage gestellt. Er meinte treffend, dass man von Muster bei jedem Ballwechsel an der Grundlinie unzählige Mal hin und her gehetzt wird. Schläge ins Netz könne man da nicht als unerzwungenen Fehler bezeichnen.

Komplett gegen den Allerbesten

Doch Muster war ein kompletter Spieler. Hand auf’s Herz: Wem wäre aus dem Stegreif eingefallen, dass Tom im Semifinale des Londoner Queens Club stand? Dort ist Jahr für Jahr das größte Vorbereitungsturnier für Wimbledon. Auf Rasen. Nur das Grasballgenie Stefan Edberg war dort zu gut für ihn.

Der Allerbeste der damaligen Zeit war allerdings Pete Sampras. Der war erstens unglaublich fad, weil zweitens total skandalfrei. Drittens war er sechs Jahre hintereinander am Jahresende die Nummer eins der Weltrangliste. Bei jemanden, der jeden einzelnen Schlag perfekt beherrschte und keine einzige Schwäche aufwies, war das einfach nur logisch.

Für mich war das so aufregend wie Synchronschwimmen. Also gar nicht. Sampras spielte einfach die besten Aufschläge, Volleys und Grundschläge. Punkt. Auf Hartplatz sowie auf schnellen Hallenböden, galt Sampras phasenweise als unschlagbar. Muster als Sandplatzspezialist sah man da umgekehrt sowieso als chancenlos. Oder doch nicht.

Schon im Jahr 1990, knapp nach Musters Unfall und Schwerverletzung, dämmerte echten Tennisauskennern jedoch eine Erkenntnis: Thomas Muster konnte nicht nur im Sand wühlen. Das Viertrundenspiel eines Österreichers bei den US Open ist an sich nichts, das man im amerikanischen Fernsehen zu sehen bekommt. Weil sein Gegner Pete Sampras hieß, wurde es doch übertragen.

Selten habe ich einen Reporter erlebt, der derart ohne jedwede Begeisterung routinemäßig seinen Job erledigen wollte. Sein einziges Spannungsmoment war die Vorschau auf das allseits erwartete Viertelfinale Sampras gegen Lendl. Ich beschimpfte das amerikanische Fernsehgerät, weil der Ignorant nicht kapierte, dass das Universalgenie Sampras um den Verbleib im Turnier kämpfte. Hart kämpfen musste.

Die ersten beiden Sätze gingen ins Tiebreak. Muster gewann den ersten, verlor den zweiten. Es entschieden nur ein oder zwei Punkte. Was natürlich an Musters Einsatz lag, doch auch an der sträflichen Unterschätzung seiner spielerischen Fähigkeiten. Sampras siegte in vier umkämpften Sätzen. Doch er gab zu, dass das haarscharf war.

Fünf Jahre später im deutschen Essen bewies Muster endgültig, dass es falsch ist, ihn am Sand zu sehen. Auf einem superschnellen Hallenboden, der Kanonenaufschläger begünstigte, besiegte er einen sehr gut spielenden Pete Sampras im Halbfinale.

Daviscup

Doch zurück in die USA. Nach der Niederlage Musters gegen Sampras hoffte ich auf meine höchstpersönliche Revanche an diesem dämlichen Reporter. Es stand das Halbfinale im Daviscup bevor. Österreich gegen die Amerikaner. Im Wiener Stadion. Auf Sand. Vor über 40.000 Fans.

Normalerweise sind die Amerikaner in so einem Mannschaftswettbewerb den Österreichern haushoch überlegen. Doch mit Horst Skoff gab es einen zweiten Spieler der erweiterten Weltspitze. Und wer gegen Sampras auswärts auf Hartplatz nur knapp verliert, kann ihn daheim auf Sand schlagen.

Dann meine Enttäuschung:. Die USA reisten mit Andre Agassi und Michael Chang an. Agassi war im Finale der US Open Sampras unterlegen. Trotzdem war das die richtige Entscheidung, denn er war der bessere Sandplatzspieler. Zu dieser Zeit vielleicht der Beste überhaupt. Abgesehen von Thomas Muster.

Ich war immer noch in den USA. Den Tenniskennern unter meinen amerikanischen Freunden war klar, dass Muster das Ding gewinnen konnte. Aber nicht so! Der Weltranglisten-Vierte Andre Agassi wurde von Muster vorgeführt:. 6:2 6:2 7:6. Das Unheimliche daran war, dass Agassi sehr gut spielte. Nur stand ihm ein Gegner gegenüber, der trotz aller sonstigen Erfolge an diesem Tag das Spiel seines Lebens machte.

Ach ja, wie so oft erweisen sich Verlierergeschichten als die schönsten Erinnerungen. Muster schlug auch Chang, Skoff verlor gegen Agassi. Das Doppel dominierten die Amis. Es stand somit nach Siegen im Länderspiel 2:2. Skoff führte im letzten Spiel gegen Chang 2:1 in Sätzen, dann wurde abgebrochen. Bei der Fortsetzung am Folgetag ging Horst Skoff sang- und klanglos unter. Doch es war wunderschön, in den USA zu sein und eine Nacht lang an einen Daviscupsieg gegen die Amis denken zu dürfen.

Unterpremstätten

Leider blieb der Davis Cup die Unvollendete von Thomas Muster. In Unterpremstätten – im Daviscup eine Weltstadt und ansonsten ein besseres Dorf in der Steiermark mit nur rund 2.500 Einwohnern – fand 1994 das Spiel der Spiele statt: Thomas Muster gegen Michael Stich. Gegen Deutschland und den Sieger von Wimbledon und die zwischenzeitliche Nummer zwei der Welt. Muster gewann eine 5:24 Stunden dauernde Tennisschlacht vor 11.000 fanatischen Fans. Mit 12:10 im fünften Satz.

Danach spielte wiederum der tragisch früh verstorbene Skoff. Und dieser verlor wieder. Doch darum geht es nicht. Es war das größte und großartigste Erlebnis, dass es in Österreich je gegeben hat, wenn Tennis gespielt wurde.