Interview mit Mika Vermeulen

Interview mit Mika Vermeulen

Soll ein norwegischer Ex-Superstar für Österreich langlaufen?

Ich habe hier im Blog über den Wunsch des ehemaligen Langlaufstars Petter Northug (39) – der Norweger ist 13-facher Ex-Weltmeister und Doppelolympiasieger – berichtet, künftig für Österreich zu starten.

Der Österreichische Skiverband (ÖSV) lehnt das ab, meiner Meinung nach jedenfalls aus den falschen Gründen. Daraufhin hat mich der aktuell beste österreichische Langläufer, Mika Vermeulen (25), kontaktiert und mir seinen Gegenstandpunkt erklärt.

Es ergab sich eine spannende und sehr sachliche sowie genauso gegenseitig äußerst wertschätzende Diskussion. Die gemeinsame Folgeidee war dieses Interview, um unsere Meinungen auch öffentlich auszutauschen.

Der frühere Nordische Kombinierer Mika Vermeulen ist spätestens in der Saison 2023/24 mit seiner ersten Podestplatzierung im Langlauf-Weltcup in der Weltspitze angekommen. Bei der Tour de Ski 2024/25 belegte er in der Gesamtwertung hinter Johannes Høsflot Klæbo – dieser wurde soeben in Trondheim in sechs Langlaufbewerben der Männer sechsmal Weltmeister – den zweiten Platz. Vermeulen gilt daher als Medaillenhoffnung für die nächstjährigen Olympischen Spiele.

 

Das Image des Langlaufs

Peter Filzmaier: Mika, Petter Northugs Ambitionen für Österreich zu starten, wurden vor allem mit dem Hinweis auf seine Vergangenheit als Straftäter abgelehnt. Er hat 2015 schwer alkoholisiert einen Verkehrsunfall verursacht und anschließend Fahrerflucht begangen. Zu meinem Blogbeitrag ergänzen möchte ich, dass Northug 2020 sogar ins Gefängnis musste, weil er ein massives Drogenproblem hatte und im Kokainrausch zum Autoraser wurde. Das alles finde ich klarerweise furchtbar. Aber können Sie meinen Standpunkt nachvollziehen, dass in einer modernen Gesellschaft nach dem Verbüßen einer Strafe niemand seine früheren Taten vorgeworfen werden sollten? Das müsste aus meiner Sicht auch für fünf oder zehn Jahre zurückliegende Straftaten Northugs gelten.

Mika Vermeulen: Nicht nur kann ich Ihren Standpunkt nachvollziehen, ich würde ihn sogar teilen. Seine Straftaten sind, zumindest für mich, auch nicht der einzig ausschlaggebende Punkt. Zu denken geben einem seine Straftaten aber schon, speziell wenn man die Dopingvergangenheit im österreichischen Langlauf mit einbezieht. Wir befinden uns momentan im Aufschwung und schaffen es, durch Leistung Schlagzeilen zu schreiben. Das bedeutet aber nicht, dass wir es aus der sensiblen Phase rausgeschafft haben. Jetzt braucht es meiner Meinung nach kontinuierliche Ruhe im Team – etwas, das ein von Skandalen begleiteter Rockstar wohl eher nicht mitbringt. Zudem muss man die Kulturunterschiede zwischen Österreich und Norwegen beachten. Norwegen ist sehr vergebend eingestellt. In Österreich muss ich heute noch zahlreiche Fragen über die Dopingvergangenheit im Langlauf beantworten, obwohl ich bis auf 2019 zu der Zeit noch nicht mal Langläufer war.

Wo wir wohl unterschiedlicher Meinung sind, das ist, ob Northug bei einem Start für Österreich den Langlauf auch im positiven Sinn mehr zum öffentlichen Thema machen könnte. Ich meine ja, obwohl oder gerade weil er stets provozierte und polarisierte. Das würde er weiterhin tun, doch Langlauf fristet für mich zu sehr und zu Unrecht ein Mauerblümchendasein. Langlaufen sollte viel bekannter sein, welche großartigen Leistungen da erbracht werden. Sie sehen das anders und denken, Northug schadet dem Image des Langlaufs?

Nein. Ich sehe einzelne Punkte anders, jedoch bin ich sicher nicht der Meinung, dass Northug grundsätzlich dem Langlauf-Image schaden würde. Ich denke aber auch nicht, dass Petter Northug, der weder Deutsch spricht noch in den österreichischen Medien präsent ist, Herrn und Frau Österreicher zum Langlaufen bringen wird. Um den Langlauf in Österreich attraktiver zu machen, bedarf es viel mehr als einen bald 40-jährigen Alt-Langläufer, der offiziell 2018 seine Karriere beendet hat.

Aber waren nicht die Fußballer Eric Cantona und Zlatan Ibrahimovic, die Tennisstars John McEnroe und Nick Kyrgios oder der Basketballer Dennis Rodman genauso durchgeknallte „Bad Boys“ und haben trotzdem viel für die Popularität ihre Sports getan, solange sie nicht gewalttätig wurden? Provokant gefragt: Ist nicht der Langlaufsport in Österreich auch einfach zu brav und fad und man scheut nach früheren Dopingskandalen nun einfach jeden Gegenwind in der Öffentlichkeit?

Da stimme ich Ihnen völlig zu. Wie sagt man so schön? Sex sells. Dass der Österreichische Skiverband generell und speziell in Sachen social media sehr zurückhaltend ist, scheint wohl bekannt zu sein. Aus Angst Sponsoren zu verärgern oder gar einen Woke-Shitstorm auszulösen, hat man sich wohl dafür entschieden, lieber so gut wie gar nichts zu posten. Man hält als Hauptkanäle an den guten alten schreibenden Medien und nicht zuletzt dem ORF fest. Gepusht werden hier, leider auch dem öffentlichen Interesse geschuldet, freilich vor allem der alpine Skirennlauf und das Skispringen.

 

Der sportliche Aspekt

Wie sieht es denn mit der sportlichen Leistungsfähigkeit Northugs aus? Ich weiß, dass er bei den norwegischen Meisterschaften im 10 Kilometer-Lauf Achter wurde. Für mich, der aber kein Auskenner ist, würde er also Weltcuppunkte holen können. Sie würden ihn freilich schlagen, was wiederum ein gutes Bild macht.

Sportlich ist Northug nicht einmal mehr ein Schatten seiner selbst. Seinen vielleicht letzten Ausreißer bei den norwegischen Meisterschaften schuldet er schon auch dem für ihn sehr günstigen Rennverlauf, und so ein Ergebnis ist – wie man auch bei allen anderen seiner Rennen sehen konnte – wohl eher nicht wiederholbar. Weltcuppunkte traue ich ihm zu, da ist das Ende der Fahnenstange dann aber aus meiner Sicht erreicht. Und all diesen Einbürgerungsaufwand für Top 50-Resultate? Naja.

Wenn Northug gar nicht mehr allzu schnell laufen kann oder – er wurde zuletzt in Volksläufen mehrfach wegen Technikverstößen disqualifiziert – nur durch Schummeln in die vorderen Ränge kommt: Das würde ja für ihn keinen Sinn machen. Als 50. gilt er nicht als Rockstar seines Sports, sondern als Verlierer vulgo Loser, oder?

Petter Northug ist mein Kindheitsidol. Ihn als Loser zu bezeichnen geht mir eindeutig zu weit. Weltklasse war er aber nicht nur als Langläufer, sondern auch als Entertainer. Vielleicht ist es ja sein Dasein eines Entertainers, welches ihn dazu verleitet, immer wieder disqualifiziert zu werden. Mal ehrlich: Wenn ein alter Northug als Nummer 67 beim Skimarathon Marcialonga ins Ziel läuft, dürfte das wenige Medien interessieren. Wird er aber disqualifiziert, wirft das Fragen auf – und das wiederum hält ihn, wenn man das so sagen will, im Gespräch und macht ihn relevant.

Eine reine Sportfrage von mir als Laien: Northug war einst vor allem der König des Sprints. Müsste er nicht da immer noch gut sein und weniger auf den ganz langen Distanzen?

Der echte König, der war er über 50 Kilometer. Dreimal wurde er in dieser Disziplin Weltmeister. Von dem her würde das wieder für seine Qualitäten über längere Distanzen sprechen.

 

Promi-Einbürgerungen im Sport

Mich stört, dass es bei sozusagen Sporteinbürgerungen keine wirklich einheitlichen Richtlinien gibt. Natürlich wird Northug nach menschlichem Ermessen nicht noch einmal Weltmeister oder Olympiasieger werden. Wir haben jedoch auch bisher nicht nur mögliche Olympiasieger für Österreich starten lassen, sondern zum Beispiel früher zweitklassige Eishockeyspieler, die zum Teil später nie wieder in unserem Land waren. Was wäre denn aus Ihrer Sicht als Weltklasseathlet auch unabhängig vom Fall Northug sportlich das Minimalkriterium, dass so eine Einbürgerung sich rechtfertigen lässt?

Ich finde, es sollte darum gehen, wie Petter Northug dem Sport in Österreich helfen kann. Er würde zwar vielleicht etwas Geld bringen, aber dafür Ressourcen kosten. Die Kinder heut zu Tage wachsen mit Klaebo auf, nicht mit Northug. Ob Northug jemals ein Vereinstraining leiten würde, um Kinder zum Langlaufen zu bringen? Rein sportlich gesehen, wäre sein Mehrwert in der Mannschaft überschaubar. Um sich also echt zu empfehlen, müsste er mehr mitbringen als den Drang, es sich selber nochmal beweisen zu müssen.

Oft wird eingewendet, dass Northugs Bezüge zu Österreich viel zu gering wären, um ihm als „Promi-Einbürgerung“ mittels Ministerratsbeschluss die Staatsbürgerschaft zu verleihen. Das wäre jedoch vermutlich Bedingung des Weltskiverbands für eine Starterlaubnis. Ich verstehe das Argument, weil ja in Österreich geborene Menschen oft viele Jahre auf die Staatsbürgerschaft warten müssen. Nur ist unsere Staatsbürgerschaft für Northug wirklich absurder als wenn zum Beispiel die heimischen Skiläufer Bernhard Knauss und Josef Strobl Slowenen wurden, der Vorarlberger Kilian Albrecht Bulgare, Richard Leitgeb für Ungarn antritt und Elfi Eder gar als Staatsbürgerin von Grenada starten wollte, das nicht einmal einen Skiverband besaß? 

Nein. Absurder wäre es sicher nicht. Maximal ein prominenterer Fall, da es sich um den größten Rockstar aller Zeiten im Langlauf handelt. Und wenn andere Nationen an Northug interessiert sind, sollte die sich doch bei ihm melden. Vergessen dürfen wir auch nicht, dass Österreich nur seine dritte Wahl ist. In Norwegen ist er chancenlos und in Liechtenstein hat er eine sofortige Absage erhalten.

Wird Northug jemals für Österreich am Start stehen?

Nein. Nicht weil der Verband das nicht will, nicht weil Alois Stadlober als früherer Langläufer das nicht will, und schon gar nicht, weil ich das nicht will, sondern der Grund ist einfach: Northug war immer ein Mann großer Worte, doch seine letzte große Tat war Falun 2015. Ihm ist es nicht ernst mit dem Wechsel. Ihm geht es vor allem um das Medieninteresse, das die Wechselgerüchte mit sich bringen.

Gut, da haben wir ihm ja jetzt mit unserem Bloginterview einen Gefallen gemacht 😉 Aber ein zweites Interview zu diesem Thema machen wir fix erst, wenn er wirklich jemals für Österreich antreten sollte.

 

Österreichs Langlaufstar Mika Vermeulen