Olympia im Krieg der Supermächte: 1952–1992

Olympia im Krieg der Supermächte: 1952–1992

Olympische Spiele sind eine Chance, politische Gegner risikolos zu bekämpfen. Also führten nach dem Zweiten Weltkrieg USA und UdSSR sportliche Stellvertreterkriege. Militärisch gab es einen atomaren „Overkill“, doch so konnten sie ihre Rivalität ohne Hemmungen ausleben. Die Völkerverständigung als Ideal Olympias wurde zum Treppenwitz.

 

  1. Mit der erstmaligen Teilnahme der Sowjets an den Spielen 1952 in Helsinki wurde die Blütezeit der bereits von den Nazis missbrauchten Medaillen- und Punktewertungen fortgesetzt. Radio Moskau und Prawda vermeldeten, damals rechnerisch falsch, laufend die „Weltüberlegenheit“ kommunistischer Sportler. Als Valeri Borsow 1972 in München in den prestigeträchtigen Läufen über 100 und 200 Meter siegte, sowie die UdSSR im Basketball-Finale die USA als Gewinner aller bisherigen Olympiaturniere entthronte, verhinderte nur der gleichzeitige Terroranschlag den Propagandatriumph.

 

  1. US-Medien veröffentlichten Medaillenspiegel nur, wenn sie – wie in Mexico City 1968 trotz des Schönheitsfehlers antirassistischer Black Power-Proteste siegreicher Afro-Amerikaner gegen die eigene Regierung – für das Land vorteilhaft waren. Falls die Zählung der Medaillen ein allzu rot-rotes Spiegelbild ergab, gab es keine Berichte darüber. Nach der ersten Olympiawoche in Seoul 1988 etwa übten sich Journalisten der Amis geradezu in Selbstzensur. Sportlich war nämlich der Vergleich aussichtslos: Zur Dominanz der UdSSR waren seit 1956 – bis 1964 formal in einer gesamtdeutschen Mannschaft – DDR-Siege hinzugekommen.

 

  1. Es folgten Scharmützel bis hin zur Unterstellung, die Geheimdienste würden Sexspioninnen zur Erschöpfung der Sportstars aussenden. Dann erreichte der Kalte Krieg mit dem Einmarsch von Truppen der Roten Armee in Afghanistan am Weihnachtstag 1979 seinen olympischen Höhepunkt. Präsident Jimmy Carter verkündete ein Ultimatum für einen Rückzug der UdSSR, um anderenfalls die Olympischen Spiele 1980 in Moskau zu boykottieren.

 

Weil weder das Einlenken der Sowjets noch eine Verlegung der Spiele durch das Internationale Olympische Komitee (IOC) – dieses hatte nicht einmal für Hitlers Olympiade in Berlin einen Absagegrund gesehen – realistisch waren, ging es den USA um eine Maximierung der Zahl der boykottierenden Länder. 81 der zu diesem Zeitpunkt 144 vom IOC anerkannten Nationalkomitees nahmen teil. Neben den USA fehlten auch die Bundesrepublik Deutschland, Kanada und Japan.

 

  1. Vier Jahre später konnte die UdSSR in Los Angeles die Gelegenheit für eine Retourkutsche nutzen oder der Verlockung sportlicher Triumphe im Land des Erzfeindes erliegen. Der Ost-West-Konflikt hatte sich durch einen sowjetischen Abschuss eines südkoreanischen Passagierflugzeugs, den NATO-Doppelbeschluss für mehr Pershing II-Atomraketen in Europa und die Landung von US-Truppen in Grenada neuerlich verschärft.

 

Parallel dazu hieß es in den USA: „Schlagt die Russen, skalpiert die Rothäute!“ Der kalifornische Kongress wollte sogar Sportlern aus der UdSSR die Einreise untersagen. Am 8. Mai 1984, 25 Tage vor Anmeldeschluss, verkündeten die Sowjets, nicht an den Olympischen Spielen 1984 teilzunehmen. 19 Nationen – mit Ausnahme Rumäniens der geschlossene Ostblock – blieben gleichfalls fern. Nicaragua machte die olympische Idee lächerlich: 1980 boykottierte man die Moskauer Spiele als US-Verbündeter, jetzt reiste man aus Solidarität zur UdSSR nicht nach Los Angeles.

 

  1. Sportlich kam, was kommen musste. 1980 in Moskau siegte die UdSSR in 80 Bewerben und errangen unglaubliche 195 Medaillen. 1984 in Los Angeles gewannen die USA 174 Medaillen, 83 davon aus Gold. Politisch waren Boykott und Gegenboykott also ein Misserfolg, weil sie den Nationalismus auf beiden Seiten stärkten. In der Los Angeles Times war zu lesen:

 

„Seht die schöne Seite der Sache: Wenn die Sowjets nicht kommen, werden die USA leicht gewinnen. Wir werden so viele Medaillen gewinnen, dass es ein Spaß ist.“ Selbstironisch wurde auf Siege in Sportarten verwiesen, die nahezu unbekannt waren. Das Eingeständnis, dass Triumphe etwa im Basketball über Mannschaften von Costa Rica bis Tschad weniger sportlichen Wert hätten als gegen die „Russen“, wischte der Artikelschreiber vom Tisch: „Ich weiß, es ist nicht das gleiche. Aber das Leben ist zu kurz, als dass wir Anstrengungen machen sollten zu erklären, wen wir geschlagen haben.“

 

Der schrecklichste Missbrauch der Olympischen Spiele durch die Politik hatte freilich mit dem Nahost-Konflikt zu tun: 1972 in München nahm ein palästinensisches Terrorkommando Sportler und Trainer aus Israel als Geiseln. Beim Befreiungsversuch starben 17 Menschen. Ging ab dem Zerfall der UdSSR und mit einer Teilnahme als Gemeinschaft Unabhängiger Staaten (GUS) 1992 in Barcelona die staatliche Politisierung der Spiele zurück? Nicht wirklich.

 

Foto: Helsingin olympialaiset 1952: Aitajuoksu 400 m © JOKAVIU und Finnish Heritage Agency