
Sportreporter beim Marathon in Linz
Vieles ist Planung. Manchmal hat man zudem Glück. In Linz sowohl als auch. Natürlich ist diese schöne Stadt nicht mit Berlin, Boston, Chicago, London New York oder Tokyo zu vergleichen. Weder größenmäßig der Einwohnerzahl nach noch in Bezug auf die Größe der „Major“-Marathons. Doch irgendwie klappt in Linz immer fast alles. Vor allem für mich.
Organisation
Man kann von der Linzer Organisationskraft her nicht einmal Wien das Wasser reichen, sondern macht mit einem viel kleineren Team genauso eine tolle Veranstaltung. Die Ressourcenmängel betreffen freilich auch den ORF. Das Landesstudio Oberösterreich überträgt in Linz voller Engagement ausschließlich mit Eigenmitteln. Ohne sich auf die ungleich größere Sportredaktion stützten zu können.
In der Praxis bedeutet das, dass zwei Motorradfahrer mit Kameraleuten bildlich alles einfangen sollen. Dummerweise bedeutet „alles“ mindestens vier parallele Ereignisverläufe: Die allgemeine Spitze der Frauen und Männer sowie die je nach Geschlecht führenden Läufer in der gleichzeitigen österreichischen Staatsmeisterschaft.
Etwaige Verfolger zu zeigen, das wäre auch nicht schlecht. Da alles im Bild zu haben, das ist natürlich ein nahezu aussichtsloses Unterfangen. Diesmal funktionierte es und ich war daran nicht unschuldig. Denn in der samstäglichen Vorbesprechung habe ich dem Regisseur den Tipp gegeben, dass die internationale Frauenspitze und Mario Bauernfeind als mutmaßlicher Staatsmeister in etwa das gleiche Tempo laufen könnten.
Was wirklich passierte, wobei Bauernfeind lange gemeinsam mit Markus Lemp unterwegs war, und Alexander Bründl – später Dritter hinter den beiden – sich bis gegen Ende an den besten Frauen orientierte. Somit hatte der sich auf dem Motorrad sensationell verrenkende Kameramann die Chance das alles zu zeigen. Die Führungskamera zeigte das kenianische Ausscheidungsrennen ganz vorne. Die spätere Staatsmeisterin Cornelia Stöckl-Moser war anfangs durch die Publikumskamera und am Ende via das – vom ersten Kenianer nach dessen Zieleinlauf zu ihr fahrende – Motorrad detto formatfüllend zu sehen.
Es war übrigens sogar insofern ein Tag der Rekorde, als wir – der Kommentator des ORF, Thomas Hölzel, Ex-Spitzenläufer Christian Pflügl und ich – statt wie bisher in einem sparbedingten „Besenkammerl“ im richtigen Studio sitzen durften. Warum das wichtig ist? Naja, die Übertragung dauert über drei Stunden und so kann man aufstehen und allenfalls auf die Toilette gehen, ohne die gesamte Ausstattung niederzureißen 😉
Frauenpower
Während die Trauben für die Männer hoch hingen, war beim Streckenrekord der Frauen noch Luft nach oben. Zeitmäßig also nach unten. Weil der besagte Rekord von 2:27 Stunden verbesserungswürdig erschien. Doch die Vorzeichen standen mittelmäßig bis schlecht. Zwar gab es eine Starterin mit einer Bestzeit von 2:21 Stunden. Einst WM-Dritte war sie zusätzlich gewesen, aber …
Philomena Cheyech Daniel war 42 Jahre jung. Ihre Rückkehr in den Laufsport musste also jeder bewundern. Seltsam war nur, dass ihr Manager sie offenbar als Rekordhoffnung präsentierte. Der Veranstalter glaubte ihm das und gab es so an uns Kommentatoren weiter. Doch schon nach zwei Kilometern war von ihr in der Spitze nichts mehr zu sehen. Wir hatten sie im Studio unmittelbar zuvor angepriesen und sahen nun alt aus.
Der Rest des Frauenfeldes war in etwa so bekannt wie österreichische Skiläuferinnen es in Kenia sind. Die Doppelspitze bildeten 2:33-Läuferin Rael Cherop Boiyo und Gladys Jerop Kimaina. Sie war zuvor nie schneller als 2:37 Stunden gelaufen. Diesmal wurden es 2:24 und einer neuer Streckenrekord.
Von ihren früheren Bestzeiten her hätte übrigens Cornelia Stückl-Moser auf ihrem Weg zum Staatsmeistertitel sich mit Kimaina messen können. Doch aus den allerschönsten Gründen der Welt – zwei Kinder – und auch Verletzungsmiseren war es für sie ein Marathoncomeback nach vielen Jahren. Das sie ab er Hälfte des Rennens mit vielen Leiden und Selbstzweifeln bezahlte. Aber Stückl-Moser wurde überlegen Meisterin.
Die rennenden Männer
In der Pressekonferenz hörte sich das ja alles ganz gut an. Das Starterfeld der Männer nämlich. Da war ein 2:07-Läufer, welcher zudem die beachtliche Halbmarathonzeit von 59:35 gelaufen war. Albert Kangogo aus Kenia. Der Haken war, dass dies vor vielen Jahren geschah und er mittlerweile stolze 38 Jahre auf dem Buckel hatte.
Neun von Kangogos zehn vom Leichtathletikweltverband ausgewiesenen Spitzenleistungen waren zwar nicht aus dem Jahre Schnee am Kilimandscharo, doch vor 2021 erbracht worden. Sein Landsmann und Alterskollege Amos Kiprotich Kiplagat mit einer Bestzeit von über 2:11 Stunden galt noch weniger als Zukunftshoffnung. Er mochte als Sieger von Tunis ein erfahrener Marathonläufer sein, doch auf die 40 Jahre zugehend zertrümmert man normalerweise nicht seine bisherige „personal best“.
Daher war ich ein Skeptiker und befürchtete eine Siegerzeit im modernen Niemandsland von mehr als zwei Stunden und zehn Minuten. Wenn es ganz dumm laufen sollte, könnte die Spitzengruppe knapp nach dem Halbmarathon zerfleddern. Wir hätten eine Stunde lang irgendwen als mittelschnellen Sololäufer live bewundern dürfen. Was in etwa so spannend gewesen wäre, wie Gras beim Wachsen zusehen.
Von wegen. Weit gefehlt. Kangogo spielte keine Rolle, aber bis zum hochspannenden Schlusskilometer waren drei Läufer eng beisammen. Oldie Kiplagat lieferte sogar eine Siegerzeit von 2:07 ab. Auch die knapp hinter ihm Platzierten Kiprop Kimutai und Abednego Cheruiyot verbesserten sich. Die Siegerzeit war die drittbeste je gelaufene Zeit eines Gewinners des seit 2002 gelaufenen Marathons.
Zu guter Letzt
Ach ja, und meine Schlussbilanz. Ich kann allen Marathonveranstaltern und Fernsehsendern nachdrücklich empfehlen, mich nach dem Linzer Vorbild als Sportreporter zu engagieren 😉
Warum das? Bisher durfte ich fünfmal den Marathon in der Donaustadt live im Fernsehen kommentieren. Viermal gab es einen Streckenrekord. Drei Frauen und ein Mann schafften das. Die 2:06:16-Rekordzeit von Bekele – nein, leider nicht Kenenisa, sondern Firke, der auch mal in Rom gewonnen hat – ist für einen kleinen und feinen Stadtmarathon zudem eine echte Duftmarke.
Beim fünften Mal war 2024 meine Partnerin Carola Staatsmeisterin geworden. Na gut, das lag an ihrer tollen Laufleistung und nicht an mir in der Reporterkabine. Ich hatte bloß urplötzlich ein Befangenheitsproblem. Eher lustig waren anschließende Vorwürfe in sozialen Medien, ich hätte trotz eines auffallend bunten Laufdress die spätere Meisterin nicht erkannt. Das kann ich definitiv ausschließen.